Zur Person

Früher war er selbst Leistungssportler und sogar mehrfacher deutscher Vize-Weltmeister im Sprint, heute ist Prof. Dr. Ingo Froböse Universitätsprofessor für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln, wo er das „Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung“ leitet.

Als wissenschaftlicher Sachverständiger berät er den Bundestag in „Fragen der Prävention“ sowie Krankenkassen. Nebenbei fungiert er als Experte rund um die Themen Bewegung, Sport und Ernährung für viele namhafte Zeitschriften und Fernsehformate und betreibt nicht nur einen erfolgreichen YouTube-Kanal, sondern ist auch noch Bestseller-Autor.

Prof. Dr. Ingo Froböse

Herr Prof. Dr. Ingo Froböse, lassen Sie uns mit der wichtigsten Frage beginnen: Was ist der Psoas?

Der Psoas ist ein kleiner, aber enorm wichtiger Muskel. Er verbindet unseren Ober- und Unterkörper im Bereich des Hüftgelenkes miteinander – ähnlich wie ein Scharnier. Der Psoas oder große Lenden-Darmbeinmuskel, wie er auch genannt wird, sorgt dafür, dass Rumpf und Hüfte wunderbar miteinander harmonisieren. Ohne ihn könnten wir nicht aufrecht gehen oder sitzen.


Wo befindet sich der Psoas?

Sie können den Psoas ertasten. Aber das ist gar nicht so einfach, weil er sich in der Tiefe des Körpers unter anderen Muskeln befindet. Am besten Sie begeben sich dazu in Rückenlage und wandern dann mit den Fingern seitlich des Bauchnabels etwa acht bis zehn Zentimeter nach unten – so ein bisschen schräg. Genau hier liegt der Psoas.


Sie haben ja gesagt der Psoas verbindet den Oberkörper mit dem Unterkörper. Welche Aufgaben übernimmt der Psoas genau und warum ist er für uns so wichtig?

Als Verbindung zwischen Ober- und Unterkörper sorgt er für Stabilität – insbesondere auch in der Bewegung. Diese Harmonie zwischen Ober- und Unterkörper wird in Verbindung mit anderen Muskeln – vor allem mit Hüftbeugern – gewährleistet. Aufgrund seines fast senkrechten Verlaufs ist der Psoas übrigens der einzige Beinbeuger, der den Oberschenkel im Hüftgelenk um mehr als 90 Grad anheben kann.


Der Psoas wird manchmal als „Sehnen-Muskel“ bezeichnet. Können sie sich vorstellen, warum das so ist?

Natürlich deswegen, weil er einen großen sehnigen Anteil hat. „Sehnig“ heißt, dass er im Vergleich zu den großen Muskelgruppen an den Schultern, Armen oder Unterschenkeln viel mehr bindegewebige Bestandteile und deutlich weniger Muskelfaserstrukturen hat.

Das hat den Vorteil, dass er sehr elastisch ist. Ein Muskel kann in einen Ruhezustand hinein zurückversetzt werden, wenn er sich maximal entspannt. Das können Sie sich wie bei einem Gummiband vorstellen. Und genau das sorgt für die vielen Bewegungsmöglichkeiten, die uns der Muskel bietet.


Wann verursacht der Psoas Probleme?

Das Grundproblem des Psoas ist, dass er so wenig genutzt wird. Überlegen Sie einmal, wie lange wir täglich sitzen. Genau das ist kontraproduktiv für den Beuger. Das führt dazu, dass sich zum einen Ansatz und Ursprung des Muskels langsam annähern – wir sprechen von einer Verkürzung. Zum anderen schwächt er auch immer weiter ab.

Das sind grundsätzlich die zwei Folgen, wenn wir den Muskel vernachlässigen. Kommen beide zusammen, haben wir ein echtes Problem. Dann können Ober- und Unterkörper nicht mehr ausreichend stabilisiert und bewegt werden.


Zu welchen Beschwerden kommt es dann üblicherweise?

Bei Rückenschmerzen – gerade im unteren Rücken – denken wir viel zu selten an den Psoas. Doch befindet er sich in Dysbalance und wirkt nicht mehr richtig beugend auf das Hüftgelenk ein, kann das zu Beschwerden im Bereich des Iliosakralgelenks (Kreuzbein-Darmbein-Gelenk, Anm. D. Red.), also dort wo die Wirbelsäule in das Becken hineinragt, führen. Darüber hinaus werden viele Bewegungen des Oberschenkels nicht mehr kontrolliert. Das hat Auswirkungen auf unser Becken und die Körpermitte ist nicht mehr richtig zentriert. Das beeinflusst auch unsere Haltung.


Gibt es spezielle Gruppen von Menschen, die besonders anfällig für Beschwerden durch den Psoas sind?

Gefährdet sind alle, die viel sitzen. Dazu gehören beispielsweise Berufsgruppen, die einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit dem Auto fahren wie LKW-Fahrer. Aber auch Zahntechniker oder Callcenter-Mitarbeiter – die an ihren Arbeitsplatz gefesselt sind – gehören dazu. Der Sitzberuf ist der Supergau für den Psoas.


Sitzen, sagt man, ist das neue Rauchen. In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie sich der Psoas trainieren lässt. Gibt es eine Möglichkeit, wie ich meinen Psoas testen kann, um zu merken, ob er bereits Probleme macht?

Das ist sogar relativ einfach. Wenn wir uns ganz aufrecht hinsetzten, dann ist der Oberschenkel im Hüftgelenk etwa 90 Grad gebeugt. Über 90 Grad beginnt der Psoas zu arbeiten. Um den Psoas zu testen, lösen Sie den Oberschenkel von der Sitzfläche, das Bein heben Sie nach oben an. Diese Position halten Sie für etwa zehn Sekunden. Das sollten Sie etwa dreimal am Stück mit einer kleinen Pause wiederholen. Zeigen sich dann schon massive Müdigkeitserscheinungen und die Muskulatur fängt an zu zittern, ist der Psoas zu schwach.


Wenn der Muskel schwächelt und ich Beschwerden habe, kann ich diese durch das Psoas-Training lindern?


Wird der Psoas vernachlässigt, müssen wir ihn wieder in die Länge ziehen und kräftigen, um ihn leistungsfähiger zu machen. Und durch gezielte Trainingsübungen mit dem Ziel der Dehnung sowie der maximalen Anspannung des Muskels, lassen sich die Beschwerden sogar relativ schnell beheben. Denn der Muskel ist ziemlich leicht trainierbar.


Wie sieht ein Training allgemein aus und worauf zielt es ab?

Eine Kardinalübung für den Psoas ist beispielsweise der Ausfallschritt. Bei dieser Übung machen Sie einen sehr großen Schritt nach vorne. Mit dem rückwärtigen Bein versuchen Sie das Hüftgelenk soweit zu strecken, dass es zu einer Überstreckung kommt. Das führt dazu, dass der Psoas in die Länge gezogen wird. Diese Position halten Sie für 10 bis 20 Sekunden an. Es darf dabei auch ziehen, weil das Bindegewebe, das den Muskel umgibt, mitgedehnt wird.

Wer etwas wackelig auf den Beinen ist, kann die Übung im Knien machen. Dazu muss das hintere Bein auf dem Boden mit dem Knie stehen und der Oberkörper nach vorne bewegt werden, sodass ein Dehnreiz verspürt wird. Das Wichtigste ist, die Beweglichkeit herzustellen.


Wie häufig empfehlen Sie so ein Training?

Ein Arbeitnehmer, der täglich sitzt, sollte diese Dehnungsübung ausführen. Denn dieser hat ein erhöhtes Risiko, dass sich Ansatz und Ursprung des Muskels annähern. Dementsprechend wäre ein tägliches Training empfehlenswert.


Wie zeitaufwendig ist das? Kann ich das im Büro machen?

Zum Glück sind Muskeln sehr pflegeleicht. Plant man für die Muskeln rechts und links – beide Seiten sind natürlich immer wichtig – täglich etwa fünf Minuten in der Mittagspause ein, dann werden sie leistungsfähig bleiben und dementsprechend keine Probleme mehr machen.

Fünf Minuten, die hat doch sicher jeder für seinen Psoas. Er ist so wichtig, dass das jeder investieren sollte.


Wann bessern sich die Beschwerden?

Das ist natürlich immer abhängig davon, wie lange die Beschwerden bestehen.

Dehnreize führen relativ schnell zu einem Effekt. Durch das Auseinanderziehen des Gewebes kommt es bereits nach den ersten zwei bis drei Tage zu einer Linderung von Rückenschmerzen. Der Muskel bekommt mehr Sauerstoff und Vitalstoffe und die Durchblutung wird angeregt. Eine langfristigere Dehnung führt natürlich zu einer längerfristigen Veränderung. Hier würde ich sagen, nach etwa zwei bis vier Wochen sind deutliche Beweglichkeitsveränderungen bemerkbar.

Kräftigen lässt sich der Muskel hingegen, wenn Sie beispielsweise im Stand das Knie immer wieder über 90 Grad anheben. Da spüren Sie ebenfalls nach zwei bis vier Wochen eine Besserung. Auch dafür benötigen Sie höchstens 30 bis 40 Sekunden am Tag. Und das etwa drei- bis viermal in der Woche zu machen, lässt sich doch wirklich leicht realisieren.


Wir haben bisher gelernt, dass Bewegung gut und wichtig für den Psoas ist. Aber kann Sport den Psoas auch schaden?

Sagen wir so: Intensiver Sport schadet jeder Struktur insgesamt, weil sich der Muskel in eine bestimmte Richtung entwickelt. Wir haben sicher einige Sportarten, wo es sogar wichtig ist, einen verkürzten Psoas zu haben. Nehmen wir beispielsweise den Fußball. Spieler benötigen einen sehr kräftigen Psoas, der dann in der Regel aber zu Verkürzung tendiert, um wirklich einen massiven Schuss ausüben zu können. Dafür leidet die Länge des Psoas darunter. Auf der anderen Seite wird der Psoas zum Beispiel bei Sportgymnastikern über seine normale Länge hinaus gedehnt. Das hat den Nachteil, dass der Muskel dann nicht mehr so gut seine Kraft entfalten kann.

Natürlich ist Spitzensport also immer ein Grenzgang. Sowohl die maximale Überdehnung als auch die Kräftigung ist nicht ideal. Eine Balance von Länge und Kraft ist perfekt. Dann wären die Athleten jedoch in ihrer Sportart nicht so gut. Umso wichtiger ist es, Ausgleichstraining zu betreiben und die Muskulatur immer zu entspannen.

Aber selbst, wenn es sportliche Kontraindikationen gibt – diese sind nicht so gravierend wie zu langes Sitzen. Denn das führt zu einem abgeschwächten Psoas. Und das ist viel gefährlicher.


Herr Prof. Dr. Froböse, Sie kommen ja selbst aus dem Leistungssport, arbeiten an der Deutschen Sporthochschule in Köln, haben schon viele Bücher geschrieben und sind sehr bekannt in der Branche. Was sollten Sportler den Psoas betreffend beachten?

Ich würde nach einer Trainingseinheit, wo alle anderen Muskeln ja sehr angespannt und ermüdet sind, dem Psoas ein wenig Aufmerksamkeit widmen. Das bedeutet: Dehnen, dehnen, dehnen. Der Ausfallschritt ist hier wirklich die Methode der Wahl. In diesem Zustand wird der Muskel besser durchblutet und mit Nährstoffen versorgt.

Nach dem Sport sollte daher nicht immer nur auf die großen Muskeln geachtet werden. Eine Mischung aus Dehn- und Ausgleichsgymnastik macht Sinn. Für fast alle Sportarten gilt dabei, auch den Psoas in den Blick zu nehmen. Ich kenne fast keine Sportart, wo das Scharnier Psoas nicht intensiv beansprucht wird.


Im Internet kann man lesen, dass der Psoas etwas mit der Entstehung von Ängsten oder Angstbewusstsein zu tun haben soll. Haben Sie davon schon einmal gehört?

Ja, das habe ich. Muskeln sind tatsächlich das emotionalste Organ des Menschen. Das kann ich nicht oft genug betonen. Es handelt sich nicht nur um blöde Maschinen, die gut aussehen, die für sportliche Aktivität sorgen. Nein, sie sind emotional, weil sie eine direkte Verbindung zum Gehirn haben. Bei Ängsten und Sorgen verändern wir unsere Haltung komplett, wir sacken zusammen. Bei Glück und Euphorie richten wir uns hingegen auf. Wir erkennen also Emotionen, indem wir Muskelaktivitäten beobachten.

Haben wir Ängste oder Probleme wird der Psoas folglich in Mitleidenschaft gezogen, weil wir unsere Körperhaltung verändern. Muskeln sind oft das Spiegelbild körperlicher Situationen oder sogar geistiger oder mentaler Emotionen. Insofern ist es richtig.

Aber ich würde es nicht nur auf diese eine Muskulatur beschränken. Oft haben wir Verspannungen in unserer Schulter- und Nackenmuskulatur. Da negative Gedanken zu einer schlechten Haltung führen, kann der Psoas durch bestimmte emotionale Reaktionen in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.


Was kommt zuerst, die schlechte Haltung oder Ängste und Sorgen?

Gute Frage. Menschen, die aufrechter durchs Leben gehen, sind in der Regel auch optimistischer. Diejenigen mit gekrümmter Haltung sind eher pessimistischer. Die Muskulatur gibt das ans Gehirn weiter. Aber meist ist es so, dass die Muskulatur vom Gehirn beeinflusst wird.


Gibt es noch etwas, dass Ihnen in Bezug auf den Psoas besonders am Herzen liegt?

Das Wichtigste ist, dass wir den Körper so annehmen, wie er ist. Und wir haben nun einmal 654 Muskeln. Alle müssen zu ihrem Recht kommen. Und deshalb ist es mir auch so wichtig, diesem kleinen und so unscheinbaren Muskel ein eigenes Buch zu widmen. Er hat es verdient, weil er so bedeutsam ist. Viele Menschen haben mich schon angeschrieben und mir gesagt, dass es ihnen geholfen hat, diesen Muskel einmal wieder ins Training miteinzubeziehen. Er leistet so viel Gutes und dementsprechend habe ich ihn jetzt in meinen Trainingskatalog aufgenommen. Und es lohnt sich wirklich für alle!

Vielen Dank für dieses spannende Interview!

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Miriam Müller Aufgewachsen in einer Familie aus Krankenschwestern und Journalisten, interessierte sich Miriam Müller bereits sehr früh für die Themen Medizin und Medien. Nach verschiedenen Praktika im journalistischen Bereich – unter anderem bei der Deutschen Welle in Washington D.C. – absolvierte sie erfolgreich ihr Masterstudium Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Miriam Müller Medizinredakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin kanyo® mehr erfahren