Wie kommt es zu Nervenverletzungen?


Nervenverletzungen können durch verschiedene Ursachen entstehen. Dazu gehören:

  • Unfälle jeglicher Art (im Straßenverkehr, mit Maschinen oder bei Explosionen)
  • Durchtrennung von Gewebe bei einer Operation (zum Beispiel beim Öffnen der Bauchdecke oder des Brustkorbes)
  • Gewalttaten (infolge von Schlägereien, Schießereien oder Messerstechereien)
  • physikalische Einflüsse (wie extreme Kälte oder Strahlung)
  • Entzündungen (beispielsweise aufgrund eines dauerhaft  hohen Blutzuckerspiegels bei Diabetikern) können einen Nerv schädigen
  • Engstellen im Körper (durch Tumore, Ödeme oder einen Bandscheibenvorfall) quetschen Nerven manchmal ab und schränken sie in ihren Funktionen ein

Bei der Diagnose von Nervenschädigungen muss der Arzt folglich viele möglichen Auslöser und Erkrankungen berücksichtigen.

Zahlen und Fakten

Verletzungen von Nerven kommen vergleichsweise selten vor. Bei einer Studie über Erdbebenopfer konnten bei etwa 5,8 Prozent der Teilnehmer Nervenverletzungen festgestellt werden. In der allgemeinen Bevölkerung ist der Anteil an Betroffenen statistisch noch geringer. Jedoch ist davon auszugehen, dass viele Fälle nicht diagnostiziert und erfasst werden.

Exkurs: Der Aufbau von Nerven


Den Kern von Nerven bilden Nervenzellfortsätze (Axone), die elektrische Impulse weiterleiten. Sie sind von einer dicken, isolierenden Fett-Eiweiß-Schicht, der sogenannten Myelinscheide oder Markscheide, umhüllt. Im peripheren Nervensystem wird diese von Schwann-Zellen gebildet. Die

Grafik eines intakten Nervs ohne Nervenverletzung.

Myelinscheide ist jedoch nicht durchgängig, es gibt viele kleine Zwischenräume, in denen das Axon frei liegt. Da die Markscheide hier wie zusammengeschnürt aussieht, werden sie auch als Ranvier‘sche Schnürringe bezeichnet.

Der gesamte Nerv, einschließlich der versorgenden, größeren Gefäße, wird zudem von einer Bindegewebsschicht, dem Epineurium, umschlossen.

Schweregrade von Nervenverletzungen


Je nach Verletzung des Nervs sind verschiedene Auswirkungen möglich. Zur Beurteilung des Schweregrades hat sich folgende Einteilung bewährt:

Grafik einer Neuropraxie: Nervenverletzung.
  • Neurapraxie: Bei einem leichten Trauma (zum Beispiel infolge von langem Liegen auf einer Stelle) kann die Funktion kurzzeitig eingeschränkt sein. Bleibt die Kontinuität der leitenden Strukturen dabei erhalten, regenerieren sich die Nerven nach einigen Tagen von selbst wieder vollständig.3
Grafik einer Axonotmesis: Nervenverletzung.
  • Axonotmesis: Das gleiche gilt bei Verletzungen wie Quetschungen oder Überdehnungen, wenn die äußerste Gewebeschicht (Epineurium) intakt bleibt, aber das Axon (Nervenzellenfortsatz, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper weg leitet) unterbrochen ist. Dann stehen die Chancen gut, dass die Nerven auch ohne chirurgischen Eingriff ihre Funktionstüchtig wiedererlangen.3
Grafik einer Neurotmesis: Nervenverletzung.
  • Neurotmesis: Wird der Nerv komplett durchtrennt, also sowohl Nervenfasern wie Hüllenstruktur, führt das in der Regel zu einer Funktionseinschränkung des beschädigten Nervs. Eine operative Behandlung ist notwendig.3

Symptome von Nervenverletzungen


Nervenverletzungen führen meist zu Ausfällen, die auf das Versorgungsgebiet des Schädigungsortes begrenzt sind. Ist beispielsweise der Speichennerv des Armes (Nervus radialis) betroffen, kann das dazu führen, dass Betroffene ihr Handgelenk und ihre Finger vorrübergehend nicht mehr strecken können („Fallhand“).

Allgemein können die Ausfälle

  • motorische (fehlende Reflexe bis hin zur Lähmung von Muskeln),
  • vegetative (wie eine reduzierte Schweißproduktion, Hautblässe oder Haarausfall) und
  • sensible (Über- oder Unempfindlichkeit gegenüber Berührung oder Temperaturen)

Störungen zur Folge haben. Zudem berichten einige Betroffene von Schmerzen beziehungsweise abnormalen Gefühlsempfindungen (wie Kribbel- oder Taubheitsgefühlen).

Regenerationsfähigkeit verletzter Nerven


Nervenverletzungen im Rückenmark oder Gehirn haben meist schlimme Folgen. Sie können nicht so einfach wieder geheilt werden. Dagegen überwinden periphere Nerven, zum Beispiel in den Armen und Beinen, Beschädigungen deutlich besser und erholen sich in vielen Fällen so weit, dass sie wieder voll funktionsfähig sind.

Wie es zu diesem Unterschied kommt, ist momentan noch Gegenstand vieler Forschungen. Bekannt ist, dass bei Verletzungen peripherer Nerven verschiedene Zellen aktiv werden und beginnen neue Eiweiße herzustellen, die das verlorene Zellmaterial ersetzen. Am Stumpf bildet sich ein „Wachstumskegel“, der aussprießt und den Weg Richtung früherer Kontaktstelle sucht.

Zwar bilden sich solche Verdickungen auch an verletzten Axonspitzen des Zentralen Nervensystems, jedoch weisen sie keinerlei Bestreben zum Weiterwachsen auf.4

Zur Beurteilung der Regenerationsfähigkeit stehen dem Arzt verschiedene neurologische Untersuchungen wie einer Elektromyografie (EMG) oder Nervenleitgeschwindigkeitsmessung (NLG) zur Verfügung, mit der er feststellen kann, ob die Nerven normal leiten.

Ist davon auszugehen, dass sich der Nerv von allein wieder erholt, warten Ärzte daher oft einige Wochen ab. Wichtig ist jedoch, dass regelmäßige Verlaufskontrollen durchgeführt werden. Insbesondere bei motorischen Einschränkungen können auch krankengymnastische Übungen die Regenerationsphase unterstützen.5

Wann ist eine Operation notwendig?


Bei ausbleibender Regeneration oder einem vollständig durchtrennten Nerv ist hingegen ein chirurgischer Eingriff notwendig.

  • Bei Nerveneinklemmungen, wie es beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom in der Hand der Fall ist, versucht der Chirurg den Nerv zu entlasten (Nervendekompression), indem er beispielsweise eine Sehne, die auf den Nerv drückt, durchtrennt.
  • Die operative Behandlung von komplett durchtrennten Nerven kann nur mittels einer End-zu-End-Naht erfolgen. Ein erfahrener Chirurg hält die beiden Nervenenden (möglichst spannungsfrei) aneinander an und verbindet sie mit einer sehr feinen Naht, die in der äußeren Gewebeschicht verankert wird.6
  • Sind die beiden Enden aufgrund der Verletzung so weit voneinander entfernt, dass der Arzt sie nicht zusammenlegen kann, ist eine Nerventransplantation erforderlich, bei der ein Spendernerv zur Überbrückung des fehlenden Stücks eingenäht wird. Diesen entnimmt der Arzt meist aus dem Nervus suralis, der an der Außenkante des Fußes und des Unterschenkels verläuft7.

Im Anschluss an die Operation muss die operierte Stelle – je nach Operationsart – für zehn Tage bis drei Wochen mit einem Gips ruhiggestellt werden. 7 Neben dem Zeitraum, der zwischen Verletzung und Operation des Nervs vergeht, spielen bei der Prognose der Behandlung auch Faktoren wie das Alter des Patienten, die Art der Verletzung und der betroffene Nerv eine entscheidende Rolle.

Wichtig:

Über den Zeitpunkt für die Operation entscheidet der Neurologe (Facharzt für Nerven) beziehungsweise Chirurg. Im Falle einer glatten Durchtrennung sollte die Nervennaht bereits in den ersten Stunden nach dem Geschehen gesetzt werden, um eine gute Chance zu haben, dass sich der Nerv wieder regeneriert. Ansonsten können die Nervenenden so vernarben, dass ein Zusammennähen nicht mehr möglich ist.

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Miriam Müller Aufgewachsen in einer Familie aus Krankenschwestern und Journalisten, interessierte sich Miriam Müller bereits sehr früh für die Themen Medizin und Medien. Nach verschiedenen Praktika im journalistischen Bereich – unter anderem bei der Deutschen Welle in Washington D.C. – absolvierte sie erfolgreich ihr Masterstudium Kommunikationswissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Miriam Müller Medizinredakteurin und Kommunikationswissenschaftlerin kanyo® mehr erfahren
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